Abschied – Als ich das erste Mal einen Freund verlor

Straße ins Nichts

Abschied – Lange habe ich in der Rubrik „Was geht…“ nichts mehr geschrieben, nun ist es endlich so weit. Dieses soll eine Rubrik sein, die auch mal nachdenklich sein darf. Dieses Mal möchte ich etwas aus der Vergangenheit schreiben, was mich noch heute beschäftigt und nachdenklich macht.

In dieser Geschichte gehe ich zurück in das Jahr 2004, in den April/Mai des Jahres.

Das erste Mal verliere ich einen Freund

Ich möchte euch über den Tod eines Menschen berichten, den ich nur kurz – im Gegensatz zu anderen Menschen in meinem Bekanntenkreis – kannte, dafür beschäftigt mich sein nicht mehr Dasein bis heute.

Aber von Beginn an.
Ich lernte Hendrik (er hatte den gleichen Vornamen wie ich) 2003 in einem Friseurladen kennen.
Er begann zu der Zeit seine Ausbildung als Friseur.

Er hat den gleichen Namen wie ich

Schon vom ersten Tag an, als ich ihn bei meinem Friseur traf, war er mir sehr sympathisch, er war ein freundlicher Mitarbeiter. Das erste Mal kamen wir ins Gespräch als der Chef im Geschäft nach Hendrik rief und ich dachte, der er – wir kennen uns privat, da er ein Bekannter meiner Eltern ist – würde mich meinen. Ich wunderte mich zwar, dass er was von mir wollte, aber ging zu ihm hin. Er klärte mich auf, dass sein neuer Auszubildender auch Hendrik heißen würde und er nach ihm gerufen hätte. Als ich an der Reihe zum Haare schneiden war, sollte Hendrik mir etwas zu trinken bringen und die Vorbereitungen treffen. So kamen wir ins Gespräch. Wir unterhielten uns anfangs nur über dies und das, was bei uns in der Nähe so passiert.

Je öfter wir uns in dem Friseur-Laden trafen, umso mehr vertieften wir unsere Gespräche, so kamen wir auch schnell zu privaten Themen. Er erzählte mir von seiner Freundin, seinen oberflächlichen Problemen mit ihr, Freizeitaktivitäten und ich genauso von meinen. Unser Kontakt wurde mit der Zeit immer besser, so dass wir ihn auch auf die rein private Ebene ausbauten. Wir trafen uns und gingen gemeinsam weg, soweit es mir damals mit 13 bzw. 14-jähriger möglich war wegzugehen. Wir wurden auf jeden Fall sehr gute Freunde, die sich viel anvertrauten.

Die Sirenen

Dann passierte es im April 2005 (wir kannten uns zu der Zeit fast zwei Jahre), morgens – an einem Sonntagmorgen – um halb sechs gingen bei uns die Sirenen.

Ich hörte die Feuerwehr ausrücken. Noch am gleichen Tag erfuhr ich, dass es an dem Morgen ein paar Dörfer weiter von uns zu einem schweren Verkehrsunfall gekommen war, bei dem eine junge Person verstorben sein sollte.

Der Wagen sei in einer Kurve mit überhöhter Geschwindigkeit aus dieser „geflogen“ und dann gegen einen Baum geprallt. Eine männliche Person, der junge Fahrer des Kraftfahrzeuges und Fahranfänger sei noch an der Unfallstelle verstorben, eine weibliche schwer verletzt ins Krankenhaus gekommen. Vermutlich sei Alkohol, neben der überhöhten Geschwindigkeit für den Unfall ein weiterer Faktor gewesen. So stand es am nächsten Tag in der Regionalpresse.
Ich war erschrocken, doch da wusste ich noch nicht, wer der Fahrer des Autos war.

Die Anzeigen in der Zeitung

Einen Tag später schlug ich die Zeitung, also die Zeitung des neuen Tages, wieder auf, und wie es meine Art ist, las ich auch die vorletzte Seite mit den Todesanzeigen. Ich konnte es nicht glauben, was ich da las. Dort stand der Name von Hendrik, seine Eltern hatten sie aufgegeben. Ich las die Anzeige wieder und wieder, da stand was von Autounfall und das Datum vom Sonntag, ich wollte es nicht glauben, doch er war es. – Er war also der junge Fahrer.

Ich war wie vor dem Kopf geschlagen und traurig.
Mir war es nicht verständlich, wie er es sein konnte und warum er sein sollte. Da stand am Montag was von Alkohol, aber er trank nie am Steuer, da war/ bin ich mir sicher. Vielleicht fuhr er hier und da zu schnell, aber Alkohol? Ich konnte das nicht glauben.

Ich habe niemanden erzählt, was mich bewegt

Es ging mir durch den Kopf, wie es wohl seinen Eltern, seinem Bruder und seiner Freundin jetzt ginge.
Die ganze Zeit musste ich an ihn denken, wie er mich bediente beim Friseur, wenn wir was unternahmen und all das. Meinen Eltern, meinen Freunden und Freundin erzählte ich gar nichts davon, wie traurig ich war. Sie hätten mich sicher verstanden, aber ich wollte es nicht, dass sie sehen, wie ich leide.

Die Schulwoche und Woche war eine graus für mich. Die ganze Zeit musste ich an ihn, meinen Kumpel denken.
Wenn ich alleine war und mir sicher war, dies zu sein, weinte ich leise und dachte an ihn. Ich wusste nicht, wie ich die Zeit überstehen sollte. In dieser Woche, bzw. am Wochenende stand noch eine Fahrt mit unserem Sportkurs der Segel-AG auf einem Segelschiff an.

Der Segeltörn

Am liebsten hätte ich sie abgesagt und wäre nicht mitgefahren. – Aber ich bin es doch.

Wir mussten selber zu dem Segelschiff kommen. Da einige schon über 18 waren, war das auch kein Problem, da sie zu meist einen Führerschein besaßen. So fuhren meine beste Freundin Melly, Nina und mit jemanden aus dem Kurs.
Sie fuhr auf der Autobahn sehr schnell und rasant. Eigentlich bin ich niemand, der Angst vor schnellem Fahren hat, aber an diesem Freitag bekam ich Angst und musste mehr und mehr an Hendrik denken. – Warum weiß ich nicht, Ich wünschte mir auf der 90 Minutenfahrt sogar, dass uns das gleiche passiert.

Warum?
Ich weiß es nicht, ich wollte wohl bei ihm sein. Es sei noch mal gesagt, wir waren nur sehr, sehr gute Freunde. Meine Freundin und Freunde bemerkten, dass mit mir etwas nicht stimmte, weil ich die ganze Fahrt sehr ruhig war – wie ich es schon die ganze Woche war. Wer mich kennt, der weiß, was ich für einen Redeschwall haben kann und wie ich sonst agiere.

Doch noch sprachen sie mich nicht darauf an.

An Bord

Angekommen an Bord des Segelschiffes bezogen wir unsere Kabinen. Wir sollten erst am nächsten Morgen sehr früh los segeln. Aus dem Grund und weil Melly, Nina und ich den Einkauf der Verpflegung übernommen hatten, mussten wir schon am Freitagnachmittag da sein. Nina, Melly, Deike und Aske also meine besten Freundinnen und ich teilten uns eine Kabine auf dem Schiff.

Ich begann mich sofort zurück zu ziehen. Zwar sind wir noch an dem Tag abends kurz um die Häuser, um den Ankerplatz des Schiffes am Hafen gezogen, aber ich war nicht wirklich dabei.

Als wir gegen zehn Uhr abends wieder an Bord waren, zog ich mich um und joggte in der Hafennähe alleine. Ich besann mich wieder zurück und irgendwie kamen mir wieder die Tränen.

Warum bist du so still?

Melly, die sich sorgen um mich machte, weil ich so still war, lief hinter mir her. Irgendwann holte sie mich ein.
Ich bin mir sicher, sie sah, dass meine Wangen feucht von den Tränen waren. Sie fragte mich, was mit mir los sei, aber ich log sie an. Weil ich mir schon dachte, sie spielt auf die feuchten Wangen an, sagte ich, es sei schweiß gewesen, mehr nicht. (Männer weinen nicht.) Das meine sie nicht, antwortete sie, ich sei so still.

Von mir kam als Antwort, dass es mir nicht gut gehe, und ich vielleicht etwas Angst habe, dass ich Seekrank werden könnte und wie peinlich das dann sei. Das war eine klare Lüge, denn ich segele selbst schon seitdem ich denken kann mit meinen Eltern, aber sie nahm es erstmal so hin.

Vielleicht muss ich erwähnen, dass außer Nina niemand aus dem Freundeskreis Hendrik kannte.

Am Samstag segelten wir also los in Richtung dänische Südsee. Da wir einige Aufgaben an Bord zu erledigen hatten, konnte ich mich ablenken und habe hier und da sogar alles vergessen. Dennoch zog ich mich auch dort möglichst in jeder freien Minute zurück.

Einmal Lyö entdecken

Angekommen auf einer kleinen Insel in Dänemark, ich glaube, es war Lyö oder so ähnlich, machten wir uns zunächst auf zu dem Kaufmann, der passender Weise Peter Petersen heißt, und zum Erkunden der kleinen Insel.

Zum ersten Mal in dieser Woche habe ich dann auch mal wieder gelacht und machte Späße. Durch das Segeln und die Freunde um mich herum, konnte ich in diesem Augenblick das Schicksal Hendriks vergessen – vielleicht auch verdrängen. Ich war einfach überdreht, obwohl ich das oft bin und nicht gänzlich ungewöhnlich ist, war es in einer Art, in der ich es sonst nicht bin.

Gitarren spielen traurige Musik

Dann an dem Samstagabend saßen wir, der Sportkurs, mein Sportlehrer und ich an Bord des Schiffes.
Mausi, so nannten wir unseren Sportlehrer, holte seine Gitarre raus und spielte, zu über allem Überfluss Balladen und andere von der Melodie melancholisch, nachdenkliche Lieder. – Ich musste wieder an Hendrik denken.

Nach 15 Minuten konnte ich nicht mehr. Ich stand wortlos auf, irgendwer fragte zwar, was los sei, aber ich sagte, ich wolle schnell noch in den Duschen am Hafen duschen und verließ das Schiff in Richtung Strand. Ich wollte nur noch weg da, weil ich merkte, dass ich allein sein musste und mir die Tränen wieder kamen.

Lagerfeuer

Nach ein paar Minuten war ich an einem einsamen Stück Strand, außer Sichtweite des Schiffes. Besucher, die vor uns auf der Insel waren, hatten ein Lagerfeuer nicht richtig ausgemacht. An dessen Glut, die vor sich her kokelte, setzte ich mich. Ich begann noch mal über alles nachzudenken, die Zeit wie und wo wir uns kennen lernten, was wir unternahmen, wenn wir uns trafen, an den Morgen mit den Sirenen, der Zeitungsbericht, die Anzeige und alles danach.

Mir wurde „kotz übel“, ich hätte mich am liebsten übergeben. Ich wurde innerlich wütend und musste richtig weinen. Ich konnte nicht glauben, dass es ihn nicht mehr geben soll. Wie gemein kann die „scheiß“ Welt sein, dass sie ein gerade 18-jährigen so aus dem Leben reißt. Wie gemein ist die „beschissene“ Welt gegenüber seinen Eltern und seiner Freundin. Warum ist das so? All die Fragen, die mir schon die ganze Woche durch den Kopf gingen, kamen auf einmal.

Ich bekam gar nicht mit, dass die Mädels und Mausi mir gefolgt waren. Ihnen war aufgefallen, dass ich ohne Duschkrams verschwunden war. Da ich die ganze Zeit so wunderlich war, machten sie sich Sorgen und suchten mich. Nachdem sie mich dann auch nicht in der Dusche fanden, suchten sie weiter und fanden mich am Strand.

Nicht wie sonst

Melly, Mausi und anderen die Freundinnen sahen möglicherweise die Tränen, vielleicht hörte sie mich auch weinen, auf jeden Fall nahmen mich meine Freundinnen fest in den Arm. Sie fragten was los sei, da ich die ganze Woche verstört erschien, nicht wie sonst war.

Ich versuchte mich raus zureden, aber bei den Mädels und dem Sportlehrer hat man keine Chance. Sie bohrten nach, fragten, ob es an den Problemen mit dem Lateinlehrer liegen würde oder ob ich sonst Sorgen hätte. Was denn nun los wäre, man könne ihnen alles erzählen. Sie hatten ja Recht.

Also erzählte ich von Hendrik. Nina und auch Melly wussten zwar, dass er Tod war, aber ahnten nicht, dass es mich so beschäftigte und schmerzte.

Wir zündeten das Feuer mit gesammelten Reissiech richtig an, den ganzen Abend, bis spät in die Nacht sprachen wir alle zusammen. Mausi und der Kapitän, der später noch dazukam, erzählten wie es ihnen ergangen sei, als sie gute Freunde verloren und meine Freundinnen waren einfach nur da und trösteten mich. Alle zusammen munterten mich auf, zu sprechen und zu weinen. Tränen sollten nicht verstecken werden, weil es helfe – und es half.
Ich konnte Abschied nehmen.

Ich musste zwar die nächsten Tage, Wochen noch an ihn denken, aber ich wusste, dass Freunde da waren, die mich verstanden. Noch heute denke ich an Hendrik und beim schreiben dieses Textes hatte ich einen dicken Klos im Hals, mir war schlecht, vielleicht kam mir auch die eine oder andere Träne über die Wangen…

Warum ich das schreibe, weil es mich noch immer beschäftigt, ich es noch immer nicht verstehen kann, es nicht will und es mir hilft darüber zu schreiben. Diese Geschichte hat kein Happyend, aber das sollte sie auch nicht. Sie sollte meine Gefühle ausdrücken und eine Erinnerung an Hendrik sein, dem ich menschlich sehr nahe stand.

Hendrik, ich werde dich nie vergessen!
R.I.P. Hendrik *1983 +2005

Dein

Autogramm von HoernRockz

Dieser Artikel war bereits im November 2007 in meinem Blog – dem „alten Blog“ erschienen. Ich habe mich im September 2019 entschieden mit dem Blog neu anzufangen. Einige Artikel, so habe ich im April 2021 beschlossen, werde ich dennoch übernehmen. Ich habe bei diesem Artikel neue Bilder eingefügt. So sind die Bilder nicht aus dem Jahr 2007. Alles andere ist gleich geblieben.
Ich konnte 2007 nicht wissen, was 2008 passiert.

Bildnachweise:
Friseurstuhl von Rudy and Peter Skitterians
Segelschiff von Karen Goerttler
Gitarrensaiten von Mike Foster
Lagerfeuer von Chris Aram alle auf Pixabay
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